von herwig Danzer | 7. März 2020
Weltfrauentag: das Meisterinnenstück von Sophia Wagner und Frauen bei den Möbelmachern
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Eigentlich geht es in diesem Artikel um unsere frischgebackene Meisterin Sophia Wagner, aber die kleine Vorgeschichte ist anlässlich des internationalen Frauentags vielleicht auch nicht ganz uninteressant. Während des Germanistik- und Politikstudiums hat herwig Danzer im Jahr 1985 eine Hauptseminararbeit über die Geschichte und Gegenwart der Frauenbewegung geschrieben, sich in Sozialpsychologie als einziger Mann bei einer achtfrauigen Seminar-Gruppenarbeit über “Geschlechtsunterschiede bei den Bildungschancen” einbringen dürfen (da gab es das Wort “gendern” noch gar nicht) und ein paar Wochen später wurden die Möbelmacher 1989 ob ihrer ersten Auszubildenden, Jutta Richter im Schreinerhandwerk eher mitleidig belächelt: “Wie kann man nur Mädels in den Männerberuf Schreiner einführen?”
Jutta hat aber bis 1997 die Geschicke der Möbelmacher mitgelenkt und den Gründerfamilien Münzenberg und Danzer sogar einen einzigen gemeinsamen einwöchigen Skiurlaub ermöglicht.
In der Zwischenzeit haben die Möbelmacher laut Aussage der Handwerkskammer die höchste weibliche Ausbildungsquote in bayerischen Schreinereien, vermutlich sogar in Deutschland. 20 Frauen gewannen seit 1991 21 Preise bei der guten Form, als Innungsbeste oder als beste Sekretärinnen.
In diesem Zusammenhang wurden sie 2006 auch auf eine EU-Konferenz namens „Geschäftsnutzen von Vielfalt und gleichberechtigter Teilhabe für kleine und mittlere Betriebe” in Zypern als einer von drei Betrieben aus Deutschland als Referent eingeladen (hier ist ein witziges Zeitungsinterview darüber und hier der Bericht). Was aus Möbelmachersicht als Verteidigung der Aktionen der Europäischen Union gedacht war, gelang dann leider doch nicht so richtig, wenn man Kosten und Nutzen dieser Aktion kritisch hinterfragte, aber eine spannende Erfahrung war es dann doch, wenn man von vielen Dolmetschern synchron übersetzt wird.

Aktuell sind fünf Frauen im
13-köpfigen Team, davon 3 mit Hochschulabschluss, die Innungsbeste Kauffrau darf sich nach dem Leistungswettbewerb beste Sekretärin Bayerns (2004) nennen und eine ist eben gerade Meisterin geworden. In unserem 5-köpfigen Kernteam sind zwei Frauen.
Sophia Wagner vom Lehrmädel von der Auszubildenden bis zur Meisterin

Sophias Gesellenstück aus Esche
Sophia Wagner (Jg 1990, früher Bernutz) hat ab 2012 Ihre Ausbildung zur Schreinerin bei uns gemacht und bewies schon damals Weltoffenheit mit ihrem Praktikum in Finnland, worüber sie auch im Nachhaltigkeitsblog ausführlich berichtete und wofür sie von der Handwerkskammer geehrt wurde. Nach der Gesellenprüfung (Notendurchschnitt 1,0!) sammelte sie ein paar Jahre Erfahrungen in anderen Betrieben. Seit 1.10.2015 ist sie wieder bei uns im Team und als Programmiererin an der CNC-Maschine nicht mehr wegzudenken. Als Musikerin hat sie bereits einige unserer Veranstaltungen begleitet und als Vegetarierin sorgt sie für genügend Gemüse bei unseren Essgewohnheiten und baut selbstgezogene Tomaten vor der Firma an.

Im Jahr 2018 ging sie an die Meisterschule in Gunzenhausen wo sie als “Spätereinsteigerin” und einzige Frau quasi als “Wilde 13” die Klasse der zwölf jungen Männer bereicherte. Mit ihren ebenso originellen, wie handwerklich aufwändigen Möbeln erarbeitete sie sich schnell den Respekt ihrer Kollegen und Lehrer. Angefangen hat sie mit dem Sitzbuchstaben und schon ihr Projekt des fünfeckigen Säulenmöbels war herausragend: Bei der gemeinschaftlichen Projektpräsentation stellte sie ihre Arbeit aus (selbstverständlich massiver) Esche und japanischem Shoji-Papier zum Thema Säulenmöbel vor kompetentem Publikum vor. Zusätzlich mussten die Schülerinnen und Schüler auch einen Prospekt oder Flyer herstellen, auch dieses Leporello halten wir für ausgesprochen gelungen:


Das Meisterinnenstück

Leider wissen wir nicht, ob es Meisterinnenstück oder Meisterinstück heißt, wir haben uns aber auf Meisterinnenstück geeinigt. Auch dafür suchte sie wieder besondere Materialien, wie zum Beispiel ein ganz besonderes handgefertigtes farbiges Glas.
Das Stück wurde aus unserer Sicht von den Prüfern nicht ganz korrekt bewertet, aber das ist bei so einem bleibenden Werk (im Gegensatz zu einer schriftlichen Prüfung) auch nicht wirklich wichtig. Umso mehr freut uns, dass es das einzige Meisterstück aus dieser Klasse ist, das in unserer Fachzeitschrift BM (
und natürlich online) veröffentlicht wurde. Das ist nicht nur eine große Ehre, sondern auch zeitsparend, weil sich andere mit der ausführlichen Beschreibung des Möbels beschäftigen mussten, hier ist der Text von Heinz Fink, die Fotos sind von Jochen Hempler, Böbingen.
“Meisterstück in Kirschbaum, Stoff und Farbglas von Sophia Wagner. Das Stück entstand an der Meisterschule Gunzenhausen.

Als Meisterinnenstück bezeichnet Sophia Wagner stolz ihren als Prüfungsprojekt entworfenen und gefertigten Kleiderschrank in europäischem Kirschbaum, Stoff und farbigem Glas. Das aus Massivholz gefertigte, 2100 x 1200 x 540 mm (H x B x T) große Möbel ist konsequent als Rahmen- und Füllungskonstruktion ausgeführt. Zwei unterschiedlich breite, an geraden Lappenbändern (ONI) angeschlagene Drehtüren verschließen den Schrank. Für die Zuhaltung sorgen zwei auf die vertikalen Mittelfriese aufgesetzten Schubstangenschlösser (Fa. Kirchner), speziell angefertigte Öffnungsbegrenzer stoppen die Türen bei ca. 100 ° Öffnungswinkel ab.
Die rechte, schmälere Tür ist mit einer zu den Friesen bündigen Massivholzfüllung bestückt. Die Füllung der rechten, breiteren Türe bilden farblich fein abgestufte, mundgeblasene Gläser (Glashütte Lambert). Schlank geschwungene, sich überkreuzende Sprossen unterteilen die Füllung und bilden zusammen mit dem elegant geformten, sich über beide Türen fortsetzenden Griffprofil ein organisches Ganzes. Im Inneren bietet der Kleiderschrank auf der linken Seite auf in Rahmenkonstruktion ausgeführten Fachböden Platz für zusammengelegte Wäsche.
In die Querfriese eingelassene Gratnutprofile aus Aluminium und Gratzapfen aus Kunststoff (Häfele) gewährleisten das Arbeiten der Seiten und Böden. Zwei mechanisch geführte (Blum Movento) und fingergezinkte Schubkästen im unteren Bereich bieten Platz für kleinere Wäschestücke. Hinter der rechten Türe findet sich oben eine Kleiderstange und unten zwei auf Nutleisten geführte Schubkästen, die durch einen gefederten Stopper beim Einschieben gedämpft werden und mittels einer Schubkastensicherung abgestoppt sind. Alle Blenden sind mit einer geschwungenen Griffmulde ausgestattet. Drei an der Innenseite der linken Tür angebrachte Stoffkörbe dienen als Aufbewahrungsmöglichkeit für Kleinzeug. Alle Holzoberflächen des Schrankes sind mit Möbelöl (Livos) geölt. (Heinz Fink) “


Natürlich war ein großer Teil unseres Teams bei der Präsentation der Meisterstücke in Gunzenhausen dabei, was man wohl kollegial nennen könnte und beurteilte dabei nicht nur das Möbel, sondern auch die Zeichnung, die man sich hier anschauen kann: meisterinnenstueckFertigungszeichnung.
Das Modell des Möbels ist nur 12 cm hoch.

Sophias neue Aufgaben in der Kundenberatung und im Social Web