Echtes Handwerk braucht Wertschätzung: Interview mit herwig Danzer ist zunächst im Blog von Dr. Alexandra Hildebrandt auf Xing und LinkedIn zu finden
Echte Arbeit
Im Gegensatz zur austauschbaren Massenproduktion symbolisieren handgemachte, „echte“ Holzmöbel zugleich auch das erweiterte Selbst seiner Besitzer und schaffen ein tiefes Verhältnis zu Langsamkeit, Dauer und Qualität. Sie machen die Welt „greifbar“. Das gilt auch für Menschen wie herwig Danzer, Nachhaltigkeitspionier in der Möbelbranche: Der gebürtige Franke, Jahrgang 1962, baute bereits mit 13 Jahren seine erste Werkstatt für Massivholzmöbel in der Waschküche seiner Mutter in Hersbruck auf. Während des Abiturs meldete er den Betrieb mit dem Namen „Spielratz“ mangels Meisterausbildung als Spielzeugmanufaktur an und finanzierte sein Germanistik-, Soziologie- und Politikstudium in München mit Holzspielzeug, das Münchner Spielzeugläden ins Programm aufnahmen. Der Kajaklehrwart der Naturfreunde lernte beim Drachenfliegen den Schreinermeister Gunther Münzenberg kennen. Die Schwangerschaft beider Partnerinnen war 1988 der Anlass zur Gründung der Möbelmacher in Hersbruck als ökologische Massivholzschreinerei.
1997 bauten sie in Unterkrumbach neben Hersbruck eine baubiologische Werkstatt-, ein Büro und Ausstellungsgebäude, das 2024 von der Fachzeitschrift dds (der deutsche schreiner) als schönste Massivholzwerkstatt Deutschlands ausgezeichnet wurde. Gemeinsam mit Rainer Wölfel vom Naturschutzzentrum Wengleinpark erfand er den Tag der Regionen in der eigenen Werkstatt und engagierte sich mit vielen Gleichgesinnten als erste Initiative Deutschlands für das Holz aus der Region. Seit 1998 erhielt das Unternehmen Die Möbelmacher viele Nachhaltigkeitspreise: Danzer wurde zum Umweltbotschafter Bayerns ernannt, Nominierungen für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2022, 2023 und 2024. 2015 verließ der Geschäftspartner das Unternehmen, das Danzer seither gemeinsam mit seiner Frau Ute und dem Kernteam führt. Aktuell sucht er nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger, die oder der in den nächsten zehn Jahren den Betrieb weiterführen wird.
Fotocredit: herwig Danzer/DIE MÖBELMACHER
Fotocredits: herwig Danzer / Fotocredit: Frank Boxler
Herr Danzer, die globale Wirtschaft hat in den vergangenen Jahrzehnten auch die Möbelproduktion industrialisiert: Erhältlich ist in den „gängigen“ Läden und Märkten vor allem ein Spanplatten-Plastik-Mix. Da die Herstellungsprozesse von Möbeln heute in weite Ferne gerückt oder oft gar nicht mehr sichtbar sind, verlieren die Menschen auch die Beziehung zum Wesen der Dinge und deren Wertschätzung. Wie kann es gelingen, dass echtes Handwerk wieder mehr wertgeschätzt wird?
Leider können wir die globalen Entwicklungen der Möbelindustrie von Unterkrumbach aus nur bedingt beeinflussen, aber wir versuchen es trotzdem! Mit handwerklicher Begeisterung und vor allem mit Humor, ohne den diese im Möbelhandel ganz bewusst erarbeitete Inkompetenz von Kunden nur schwer zu ertragen wäre.
Warum?
Wir wissen aus vielen Kundengesprächen, dass falsche Behauptungen – heute Fake News – im Möbelhandel ganz gezielt genutzt werden, um Umsatz zu erzielen. Das beste Beispiel dafür ist das Wort „Echtholz“: Es wird bewusst und oft betrügerisch eingesetzt, um die Kunden an Massivholz glauben zu lassen, dabei ist Echtholz laut DIN eine Spanplatte mit mindestens 0,7 Millimeter dicken Furnier aus irgendeinem Baum, wo immer der auch herkommen mag. Die offizielle DIN-Norm für Massivholzmöbel ist fast nur auf unserer Homepage zu finden. Leider kennt sie kein Mensch, denn dort ist exakt festgelegt, was ein Massivholzmöbel ist und vor allem was nicht, aber weil eine DIN-Norm nicht eingeklagt werden kann, wird auch mit Begriffen wie „Naturholzmöbel“, die aus Tischlerplatten bestehen, dagegen verstoßen.
Was sagen Ihre Kunden?
Sie glauben nicht, wie viele von ihnen die Geschichte vermeintlicher Massivholzmöbel erzählen, die sich später als gemeine Spanplattenverleimung identifizieren lassen müssen. Lustigerweise glauben es die Kunden erst, wenn man mit einer Taschenlampe in die Lochreihe für die Fachböden leuchtet, wo sich die Spanplatte darunter nicht verstecken können. Andere Kunden berichteten darüber, wie sie im Möbelhandel nach Massivholzküche suchten: Massivholz sei zwar ganz schön, aber leider für Küchen nicht geeignet, weil es zu empfindlich sei, es Probleme mit Feuchtigkeit geben oder sich verziehen würde.
Fotocredit: herwig Danzer/DIE MÖBELMACHER
Ihre Antwort?
Das Gegenteil ist richtig! Zumindest in unserem Unternehmensrahmen. Davon kann sich auch jede/r Interessierte selbst ein Bild machen. Zum Beispiel bei Führungen durch die Werkstatt, bei den Unterkrumbacher Werkstatt-Tagen, am Tag des Schreiners und der Küche oder bei Kochworkshops. Eine ehrliche Kommunikation im Print- und Digitalbereich versteht sich von selbst. Dazu gehören Jahrbuch, Newsletter, Homepage, unser Nachhaltigkeitsblog (der seit 2005 über 3000 Artikel enthält) sowie unsere Social Media-Aktivitäten. Seit 25 Jahren organisieren wir auch die Preisverleihung der guten Form, bei der die besten Gesellenstücke der Schreinerinnung vor großem Publikum prämiert werden.
Leider spiegelt sich die Wertschätzung des Handwerks nicht im deutschen Arbeitsmarkt wider. Viele Ausbildungsbetriebe stellen fest, dass bei ihnen weniger Bewerbungen eingehen und Stellen nicht besetzt werden können. Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe dafür?
Wir hatten fast immer mehr interessante Bewerber als Stellen, aber es ist wahr, dass es im Handwerk schwer ist, gute Auszubildende zu finden. Es ist nicht leicht, die gewaltig gestiegenen Löhne zu zahlen, aber unsere Schreinerinnen und Schreiner verdienen das durchaus, nur müssen die Kunden dann auch unsere daraus resultierenden Preise akzeptieren. Tun sie das nicht, haben wir ein Problem.
Dabei wird doch seit Jahren viel Werbung für das Handwerk gemacht …
Ja, doch ich glaube, dass die umstrittenen Werbekampagnen des deutschen Handwerks seit vielen Jahren eher vom Handwerk abschrecken. Statt die Vorteile von fühlbarer Arbeit zu betonen (welche Exceltabelle kann emotional gegen einen Schrank bestehen), verbreiten sie Dystopien, wie es ohne das Handwerk aussehen würde, oder argumentieren gegen Akademiker, um Handwerker zu gewinnen.
Können Sie ein Beispiel geben?
Leider ist die Anzeige aus der „Da stimmt was nicht“-Kampagne nicht mehr auffindbar. Aber das hier ist auch ein Negativbeispiel – und oder das hier.
Warum können wir ohne den Blick auf das Handwerk und das Bewusstsein über Material und Geschichte die Herausforderungen und Probleme unserer Zeit nicht lösen und neue technologische Möglichkeiten nicht nachhaltig nutzen?
… weil die Menschen fehlen, die etwas machen! Wir nennen uns nicht zufällig Möbelmacher, weil wir nicht nur Händchen halten und Exposés schreiben, sondern weil wir das Ergebnis unseres Gesprächs auch in echt verwirklichen: Das geht am Rechner nicht, dazu muss man Bäume und Bretter in die Hand nehmen und analog bearbeiten.
Anfang der 1980er-Jahre beeinflusste der Grafikdesigner Otl Aicher (1922-1991) die Küchenwelt. In seiner Publikation „Die Küche zum Kochen“ sagte er die Rückkehr der Küche voraus, die wieder ins Zentrum des Hauses rückt. Er schlug ein Küchenkonzept vor, bei dem das Essen und die Kochkunst als sinnliches Erlebnis gefeiert werden. Können Sie sich damit identifizieren?
Das muss man sich mal vorstellen: Eine Schulfreundin, die gerade Architektin wird, schenkt mir 1988 ein Buch, das sechzig D-Mark kostet, weil sie will, dass wir uns in die richtige Richtung entwickeln! Der Architekt Otl Aicher war ein Freund von Gerd Bulthaup, und das erklärt, warum Bulthaup und die Möbelmacher auf das gleiche Fundament zurückgreifen. Aicher beschrieb in seinem Buch die aus seiner Sicht perfekte Küche, die wir aus unseren Erfahrungen heraus immer weiterentwickelten:
- Unterschiede in der ökologischen Materialwahl
- Unterschiede in der Einzelanfertigung nach Kundengrundriss statt Serie
- Entwicklung zur Kochinsel, weg vom Kochen an der Wand.
Viele traditionelle Handwerksbetriebe wirtschaften schon immer fair und leisten Beiträge für ihre Region und die Gesellschaft – wie Die Möbelmacher. Wie verbinden Sie Tradition, Innovation und Digitalisierung in Ihrem Unternehmen?
Wir wurden eher zufällig zu einem Pionier der Postwachstumsszene. Aber nur, weil wir der einzige Handwerksbetrieb in der Nachhaltigkeitsbewegung waren. Denn eigentlich wissen alle Handwerker, welche Betriebsgröße für sie am besten geeignet ist, zumal man ja nicht immer Platz zur Vergrößerung hat. Die meisten forschenden Studierenden enttäuschen wir mit dieser Aussage.
Warum?
Jeder Handwerker will gern mehr Geld verdienen, aber niemand möchte deshalb unbedingt ins Unermessliche wachsen. Unsere Einzelanfertigung wäre ab einer bestimmten Betriebsgröße nicht mehr umsetzbar, wir müssten dann Möbel-Serien verkaufen, was uns vermutlich nicht gelingen würde. Da gibt es wirklich ein Wahrnehmungsproblem der Postwachstumsszene!
Fotocredit: herwig Danzer/DIE MÖBELMACHER
Häufig wird kommuniziert, dass die Küche das Auto als Statussymbol abgelöst hat. Was sagen Sie dazu?
Unsere Kunden sind eher Autogegner als Fans, einige können sich aber beides leisten. Bei denen, die ihr Geld einteilen müssen, fahren unsere Kunden meist bewusst sparsame Autos, sie leisten sich eine anspruchsvolle Einrichtung und Küche im Privaten – und nicht im äußerlich Sichtbaren. Die Beratungsgespräche finden übrigens an der Kochinsel statt, an der die meisten Kunden erkennen, dass das eigentlich eine gute Idee ist.
Was sind für Sie derzeit die zentralen Herausforderungen in der Küchenbranche?
Wir sind nicht die Küchenbranche, aber wir kennen sie sehr gut, nicht zuletzt durch die langjährige Zusammenarbeit mit der Trendfairs Messegesellschaft, die jetzt gottseidank bei der Nürnberg Messe angedockt ist, was uns sehr freut. Aktuell geht es vor allem darum, so viele Küchen zu verkaufen, dass man davon leben kann – und das ist nicht leicht. Die Kombination aus „Neu, Nachhol und Renovierung“ und vor allem die Kompletteinrichtung um die Küche rum mit Matratzen, Polstermöbeln, Beleuchtung und sogar Hifi-Anlagen scheint bei uns zu funktionieren, aber die ganze Branche hat es gerade schwer.
Wie stark Formaldehyd ausgast und die Raumluft belastet, wurde in Deutschland bislang mit einem Verfahren aus den 1990er-Jahren gemessen. Aus Sicht von Öko-Test war die Methode schon damals nicht „realitätsnah“. Seit dem 1. Januar 2020 muss die Ausgasung von Formaldehyd aus Holzwerkstoffen anders gemessen werden. Was bedeutet das konkret für Ihr Unternehmen?
Der Cousin meines Kompagnons war einer der ersten baubiologischen Messtechniker, die das esoterische Geschwurbel durch nachvollziehbare technische Messungen ersetzen wollten und das auch verwirklicht hat. Fast alle Kunden erwähnen den guten Geruch in unserer Werkstatt, denn wie es in einem Möbelhaus oder einer konventionellen Schreinerei riecht, weiß man ja. Dass dieser Geruch nicht gerade gesund ist, ist zwar nachweisbar, aber es interessiert aktuell leider niemanden.
Welche Rolle spielt für Sie generell das Thema Wohngesundheit?
Die größte überhaupt, denn mit dieser ökologischen Ausrichtung gründeten wir 1988 die Möbelmacher. Manche Kunden wundern sich sogar, dass wir Wohngesundheit nicht nur im Schlafzimmer, sondern auch in allen anderen Räumen thematisieren, denn zusätzlich zur ökologischen Herstellung sehen wir uns auch in der Verantwortung für das Wohnklima.
Die meisten werben mit dem Qualitätssiegel „Made in Germany“. Aber die meisten Materialien und vor allem Holz kommen aus anderen Ländern. Es wird nur alles in Deutschland „zusammengesetzt“. Ist das nicht auch eine Form von Greenwashing?
Leider ist nicht nur in unserer Brache fast jede Werbung Greenwashing. Aber wie Kunden der Unterschied zwischen unserer gefühlt „ehrlichen“ Werbung und dem Geschehen draußen am Markt ehrlich vermittelt werden sol, wissen wir leider auch nicht. We‘ll do our very best.
Inwiefern kann Aufrichtigkeit auch in der Küchenwerbung Akzente setzen? Wie machen Sie das?
Wir werben mit unseren echten Kunden auf den Fotos, im Jahrbuch und im Web, denn es geht nur bedingt um die Frage, ob diese Küche schön ist, sondern vielmehr um die Erkenntnis, dass diese Küche für just diese Kunden, deren Geschmack und deren architektonischen Voraussetzungen die perfekte Lösung ist. Die Betrachter sollen erkennen, dass wir auch für sie und vor allem mit ihnen die ganz persönliche Einrichtung erarbeiten.
herwig Danzer / Fotocredit: Frank Boxler
Was unsere Gesellschaft nachhaltig voranbringt, geht häufig von Menschen wie Ihnen aus, die einen unverwechselbaren Eigensinn haben, der sich auch in Ihrem Vornamen ausdrückt. Warum wird er klein geschrieben?
Als Klassensprecher in der Schule musste ich so viel unterschreiben, dass ich auf die Idee kam, das „h“ einfach klein zu schreiben – schnell und einzigartig! Mittlerweile ist „herwig“ sogar mein eingetragener Künstlername.
Weiterführende Links:
- Definition von Massivholzmöbeln
- Der Architekt Otl Aicher und die Möbelmacher
- Die Möbelmacher
- Nachhaltigkeitsblog
- Katastrophenhandwerkswerbung
- herwig Danzer
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