von | Mrz 26, 2006

„König Kunde ruiniert sein Land“

Bücher

Poetterkoenigkunde
"Dieses
Buch hat ein Problem. Es handelt vom Konsumverhalten der Deutschen, aber die
meisten Deutschen werden es nicht wahrnehmen." Das schreibt der engagierte
und mehrfach preisgekrönte Taz-Redakteur am Ende seiner 130 – seitigen
Abhandlung über den Konsum, betitelt "König Kunde ruiniert sein
Land." Denn sowohl Konsum als auch Kunde bewegen sich trotz aller Appelle
und Skandale zu wenig in Richtung Nachhaltigkeit.

Auch
unser Nachhaltigkeitsweblog versucht ja mit dem Focus auf das Genießen verbesserter Lebensqualität, die Menschheit
einen kleinen Schritt in Richtung Nachhaltigkeit zu bewegen, wobei uns Pötters
sorgfältig recherchiertes Buch dabei wertvolle Dienste leisten kann.

Zum
Beispiel im Kapitel Dumpinglöhne und fairer Handel der Turnschuh, welcher den
Sportler – unabhängig seiner Begabung -100 Euro kostet:
50 Euro bekommt der Einzelhandel, 32 € Gewinn die Markenfirma, 5 €
Transportkosten, 12 € Herstellungskosten, 2 € Gewinn macht die einheimische Fabrik, 2 € Produktionskosten zum
Beispiel Strom, 40 cent vom 100 €-Schuh
werden an die Näherinnen bezahlt.

Fit
wie ein Turnschuh ist aber auch seine Berichterstattung über Sozialdumping in
Deutschland, wo Aldi, Lidl und
Schlecker (hier das Schwarzbuchweblog zum Thema http://www.verdi-blog.de/lidl/ ) mal
wieder eine Führungsposition einnehmen. Aber anders als beim Turnschuh, wo die
Unterstützung unserer fränkischen Global Players durchaus Sinn macht, weil
diese wenigstens am erkannten Problem arbeiten, nennt er hier auch positive
Beispiele wie die dm-Drogeriemärkte, Edeka, Reichelt oder Kaiser’s. Und selbst
bei den Discountern gibt es mit Minimal, Penny-Markt oder Plus wenigstens
Betriebe, deren Umgang mit Menschen vertretbar ist.

Von
der spannenden Nachhaltigkeitsgeschichte des Konsums, Verkehrs, des Tourismus,
des Hausbaus und der Geldanlage leitet er über zum Kapitel "Es rettet uns kein höh’res Wesen – auf dem Weg zur
nächsten Konsumrevolution." Mit ganz konkreten Forderungen an den privaten
Konsumenten, an Politiker und an die Unternehmer ruft er auf zum Widerstand
gegen "Geiz ist geil". Untermauert und ergänzt wird der Aufruf eindrucksvoll
durch die im Interview sehr offen ausgesprochenen Erfahrungen von Renate
Künast: "Es kann ja wohl nicht sein, dass wir in Deutschland viel Geld für
die teuersten Küchen ausgeben, dass aber darin nicht mehr gekocht wird."
(nicht, dass wir was gegen wertvolle Küchen hätten, unsere Kunden können
sie auch benutzen).

Das
Buch hat kein Happy End sondern eine Happy Hope: "Consumer Watch" ist
die Idee für eine "unbequeme kleine Gruppe, die unser tägliches Verhalten
thematisiert. … laut, aggressiv, fröhlich und mit viel Spaß."

Lustigerweise
ist das eine Gruppe, die sich perfekt der modernen Marketingwerkzeuge bedienen
könnte, die in Bernd Röthlingshöfers Buch "Marketeaser" vorbildlich
begründet und beschrieben werden. Und starten sollte man das ganze spätestens
zur Frankfurter Nachhaltigkeitsmesse im Frühjahr 2007 (Sustainable Projekt),
deren Stattfinden seit ein paar Tagen amtlich ist. Vielleicht könnte man hier
ja die richtigen Leute zusammenbringen? Messeveranstalter (Andreas Pipperek – Messe Frankfurt), die interessante
Aktionen brauchen können, Aktionisten (zunächst mal den Autor, später mit
Mitstreitern, vielleicht in Zusammenarbeit mit der Sustainable Excellence
Group
, in der auch das Wuppertal Institut, Future e.V und die Deutsche Geseelschaft für Qualität vertreten ist?), die die Öffentlichkeit und alle Nachhaltigkeitsgurus brauchen können,
Werbefachleute, die die Wirksamkeit Ihrer witzigen Werkzeuge der "anderen
Werbung"(wie Weblogs) anhand einer ebenso anspruchsvollen wie ehrenwerten
Aufgabe beweisen können.

Pötters
Buch sollte Schullektüre werden, Politikern mit Lesezwang übergeben werden und
an jedem Stammtisch zur thematischen Vertiefung ausliegen, an dem über Manager
wie Ackermann und Co gelästert wird.

Einziger
Kritikpunkt: zur Wirtschaft gibt Pötter offensichtlich nur sein Aldi et Obi,
seinen Schlecker oder das "Fernziel" RTL-Nachhaltigkeits-TV. Der
Mittelstand und die regionalen Aspekte von der Dorfschreinerei (!) über die
Biobrauerei (Lammsbräu) bis hin zum Babykosthersteller (Claus Hipp ist ein
Ökopionier, auch wenn wir ernährungstechnisch die frische Zubereitung von
Babynahrung bevorzugen) fallen entweder einer Konzernneurose zum Opfer, oder
werden erst im nächsten Buch behandelt? Hoffentlich schreibt er noch eines,
denn dort findet er vielleicht mehr e h r l i c h i e s Engagement, als bei den
"Greenwashern" der Großen ("Grennwashing" ist
Nachhaltigkeitsfuzzi-Insiderslang für Grossbetriebe, die ihr grünes Mäntelchen
nach den Winds of Change hängen.)

Nachtrag:
ConsumerWatch muss sich vom Begriff der Nachhaltigkeit lösen. "Eine
bessere Zukunft muss man sehen, riechen und schmecken können." Stattdessen
schlägt er Begriffe wie "Vernunft, Verantwortung, Gerechtigkeit und
Zukunft" vor. Im Nachhaltigkeitsweblog haben wir zwar noch den
"falschen" Namen, aber die gleichen Ziele. "Denn letztlich ist
nachhaltige Lebensführung nichts anderes als artgerechte Haltung für
Menschen."(Michael Wehrspaun)

Anderes
Buch mit Lesezwang für Lokalpolitiker: Hutanger

Marketeasing
von Bernd Röthlingshöfer

Beitrag im Konsumblog

Gutes Interview mit Bernhard Pötter im Konsumblog, das Buch hat er sich leider bei Amazon kaufen lassen, statt im heimischen Buchhandel. Dort hätte seine Mutter vielleicht nette Leute getroffen und das Geld an die richtige Stelle getragen: dorthin wo beraten wird, gesprochen statt getippt und die regionalen Arbeits- und Ausbildungsplätze erhalten werden.

5 Kommentare

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  5. Miriam

    Bei euch muss alles nachhaltig sein, was 😉

    Antworten

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